Geschichte
Vom Ablasshandel zur Haussammlung
Sammeln hat eine lange Tradition. Bereits im 12. Jahrhundert erreichte das Spendenwesen einen ersten Höhepunkt. Selbstlos war die Gebefreudigkeit der Spender indes nicht. Denn die Kirche gewährte im Gegenzug einen Ablass oder Nachlass zeitlicher Sündenstrafen. Auswüchse des Ablasshandels lösten schließlich die Reformation aus.
Fortan ging es nicht mehr um das Seelenheil des Spenders. Armut als soziales Phänomen sollte bekämpft werden. Martin Luther sorgte für die Einrichtung des "Gemeinen Kastens". In den legten Gemeindemitglieder ihre freiwilligen Gaben hinein. Lange Zeit gehörte das christliche Almosen zum Gottesdienst.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte die kirchliche Sammeltätigkeit erneut einen Aufschwung. Als Folge der Industrialisierung verarmten die Menschen in den Städten. Der Staat konnte dieses Problem nicht lösen. Neue sozial-caritative Orden wurden gegründet. Deren Angehörige zogen als Haussammler durch die Lande.
Arbeitslosigkeit, Armut, Inflation brachten das Spendenwesen nach dem Ersten Weltkrieg zum Erliegen. Im Nationalsozialismus wurden die Möglichkeiten immer mehr eingeschränkt. Alle privaten Initiativen wurden zentralisiert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg: Hungers- und Wohnungsnot, Schwarzmarkt, Ostvertriebene. Angesichts der großen materiellen Not und des seelischen Leides der Bevölkerung sahen sich besonders die Kirchen zum Handeln gedrängt. Die Wohlfahrtsverbände reagierten mit Professionalisierung. Im Bereich der Sammlungen bündelten sie ihre Kräfte. In Nordrhein-Westfalen sammeln Caritas und Diakonie seit 1948 gemeinsam. Mit Erfolg. Jahr für Jahr kommen hier etwa 5 Millionen Euro als Erlös zusammen. Die Sammlungen sind auch ein Stück Geschichte der Ökumene.
Heute geht es nicht mehr um Opfer oder Opferbereitschaft, sondern um Solidarität mit benachteiligten Menschen.
Nach wie vor aktuell ist dieser Satz: "Ich meine, es ist zu eurem eigenen Besten, dass ihr euch an der Sammlung beteiligt. ... Ihr sollt nicht selbst leiden, dass anderen geholfen wird. Aber im Augenblick habt ihr mehr als die anderen. Darum ist es nur recht, dass ihr denen helft, die in Not sind. Wenn ihr dann einmal in Not seid und sie mehr haben als ihr, sollen sie euch helfen. So kommt es zu einem Ausgleich zwischen euch." Haben Sie den Redner erkannt? Ein früher Sammler der christlichen Kirche, Apostel Paulus, 2. Kor 8, 10 ff. (in der Bibelübersetzung der "Guten Nachricht").
Zeitzeugen
Ein Zeitzeuge berichtet
Die gemeinsame Sammlungskonferenz von Caritas und Diakonie in Nordrhein-Westfalen, deren Vorsitzender ich von 1982 bis zum 31. August 2005 gewesen bin, macht sich immer viel Mühe mit dem Formulieren des Leitwortes für die gemeinsamen Sammlungen und für die gemeinsamen Sammlungsplakate. Begebenheiten, die mir nachhaltig in Erinnerung geblieben sind, will ich an Sie weitergeben.
Im Herbst 1982 habe ich zum ersten Mal an der gemeinsamen Sammlungskonferenz der kirchlichen Hilfswerke Caritas und Diakonie teilgenommen und wurde auch sogleich gebeten, den Vorsitz dieser Konferenz zu übernehmen. Leitwort und Plakat für die Sommersammlung wurden mir vorgestellt. Das Leitwort lautete: "Nichts geht ohne Nächstenliebe". Es war auf einem typographischen Plakat festgehalten.
Am Abend erzählte ich meiner Familie von meiner neuen Aufgabe. Ich erwähnte auch das Leitwort für die Sommersammlung 1983: "Nichts geht ohne Nächstenliebe". Einer meiner Söhne sagte: "Das ist aber eine komische Konferenz. Die Leute lesen wohl keine Zeitung. Es geht ziemlich viel ohne Nächstenliebe. Die Behauptung 'Nichts geht ohne Nächstenliebe' kann so nicht stimmen."
Beim nächsten Treffen der gemeinsamen Sammlungskonferenz gab ich die Meinung meines Sohnes weiter. Ich erfuhr, dass das Leitwort angelehnt war an ein Leitwort der Firma Bärenmarke: "Nichts geht über Bärenmarke". Die Werbetexter der Bärenmarke wollten Kaffeetrinkern ihre Milch verkaufen. Sie wussten durchaus, dass es Menschen gibt, die den Kaffee ohne Milch und also auch ohne Bärenmarke trinken. Aber wenn sie schon Milch in den Kaffee tun, dann sollten sie wissen: "Nichts geht über Bärenmarke".
Ich versuchte die Sammlungskonferenz damals davon zu überzeugen, dass die Aussage "Nichts geht ohne Nächstenliebe" etwas anderes zum Ausdruck bringt, als die Aussage "Nichts geht über Nächstenliebe". Dennoch wollte ein Teil der Konferenzteilnehmer an dem einmal beschlossenen Leitwort festhalten. Ich schlug eine neue Abstimmung vor. Zwei Drittel der Teilnehmenden entschieden sich für das Leitwort "Nichts geht ohne Nächstenliebe", ein Drittel stimmte für "Nichts geht über Nächstenliebe". Das Plakat, das dann freigegeben wurde, bringt diesen Abstimmungsprozess zum Ausdruck. Dort steht: "Nichts geht ohne Nächstenliebe, nichts geht ohne Nächstenliebe, nichts geht über Nächstenliebe".
Nach dieser Erfahrung haben wir in der Sammlungskonferenz jetzt seit mehr als 20 Jahren so lange über Leitworte beraten, bis wir sie einstimmig verabschieden konnten.
Das andere Erlebnis stammt aus dem Jahre 1989. Das Leitwort für die Adventssammlung lautete: "Zeichen setzen, Hoffnung geben". Das Plakat zeigt die Zeichnung von zwei Menschen, die sich zu umarmen scheinen und aus einem Fernsehbild heraus auf die Betrachter sehen. Auf ihrer Kleidung haben einige Betrachter herabfallende Blätter oder Mauersteine gesehen.
Der Sammlungskonferenz wurde von verschiedenen Seiten gratuliert für ihr gelungenes Plakat anlässlich des Mauerfalls und der Deutschen Wiedervereinigung.
Die Gratulanten machten sich allerdings nicht klar, dass die Entscheidung für Leitwort und Plakat jeweils ein Jahr im voraus fällt...
Das letzte Plakat, das ich als Vorsitzender mit zu verantworten hatte, ist das Plakat mit dem Leitwort "von Mensch zu Mensch". Mit diesem Plakat geschieht auch der Eintritt in das Internetzeitalter für die Sammlungskonferenz.
Ich wünsche der Sammlungskonferenz weiterhin nachhaltige Erfolge – von Mensch zu Mensch Verbindungen aufzubauen.
Herzlich Ihr Pfarrer Fröhlich
Pfarrer Wolfram Fröhlich war von 1979 bis zum 31. August 2005 als Geschäftsführer Gemeindediakonie und Öffentlichkeitsarbeit beim Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche im Rheinland tätig.